Pädagogische Bedeutung von Schulnoten und Bewertungsalternativen


Ausschnitt eines Schulzeugnisses


Die Diskussion um die pädagogische Bedeutung von Schulnoten ist so alt wie die Einführung der Schulnoten selbst. Dass Noten eine Hilfe sein können, um die Entwicklung eines Kindes entsprechend seiner Fähigkeiten pädagogisch zu begleiten, lässt sich kaum abstreiten. In der Regel wird aufgrund von Zeugnisnoten entschieden, in welche Schulform ein Kind im Anschluss an die Grundschule wechselt. Und der Dezimalwert eines Abiturzeugnisses kann richtungsweisend sein für die berufliche Karriere.


Auch wenn die vielfach geübte Kritik an mangelnder Aussagekraft und Vergleichbarkeit von Schulnoten berechtigt ist: Schulnoten sind relevant. Und sie werden es auf absehbare Zeit bleiben. Es gibt kaum jemanden, der sich im Rückblick auf seine Jugend nicht an Situationen erinnern kann, die mit Angst vor schlechten Noten verbunden waren. Das gilt auch – und insbesondere – für leistungsstarke Schüler.



Eine kurze Geschichte der Schulnoten


Eine halbjährliche Leistungsbeurteilung schrieb erstmals die sächsische Schulordnung im Jahr 1530 vor. Wer durch besonders gute Leistungen auffiel, wurde belohnt – zum Beispiel mit "Semmeln oder dergleichen". Die Leistungsbeurteilung war mehr als Ansporn und weniger als Druckmittel gedacht.


Strenger ging es in den Klosterschulen der Jesuiten zu. Hier gab es ein straffes Klassensystem mit klaren Regeln und einem fünfstufigen Notensystem. Wirklich wichtig waren die Noten aber auch hier nicht. Entscheidend für den späteren Berufs- und Karriereweg war vielmehr, ob jemand überhaupt in eine Schule gegangen war.


Historische Schulszene, schätzungsweise Anfang des 20. Jahrhunderts


Größere pädagogische Bedeutung erhielten die Schulnoten mit der schrittweisen Einführung der allgemeinen Schulpflicht, die sich im deutschsprachigen Raum zwischen dem 17. und dem 19. Jahrhundert etablierte. Im Preußen des Jahres 1850 gab es im Rahmen der Schulpflicht zunächst eine dreistufige Bewertungsskala, die später auf vier und schließlich auf fünf Bewertungsstufen erweitert wurde.


Die gefürchtete Note 6 kam erst im Jahr 1938 dazu. Warum die fünfstufige Skala um eine sechste Stufe erweitert wurde? Die (theoretische) Begründung dafür war: bei 5 Notenstufen tendieren Lehrer dazu, den mittleren Wert zu wählen. Bei 6 Stufen ist das nicht möglich.



Können Schulnoten gerecht sein – und was sagen sie aus?


Gerechtigkeit, dargestellt durch Justizia im Gegenlicht


Um das Ergebnis vorwegzunehmen: eine wirklich objektive und insofern gerechte Vergabe von Schulnoten kann es nicht geben. Noten werden immer von Subjekten (den Lehrern) an Subjekte (die Schüler) vergeben. Daran ändern auch wissenschaftlich fundierte Objektivierungs- und Gewichtungskriterien nichts.


Zur Subjektivität von Schulnoten gibt es eine Vielzahl von Veröffentlichungen. Zu den grundsätzlich möglichen Einflussfaktoren auf die Notenvergabe gehören die jeweilige Stimmung der Lehrkraft bei der Benotung (unter Umständen auch das persönliche Verhältnis zum Schüler), die Qualität anderer zu bewertender Arbeiten, die Intention des Lehrers bei der Notenvergabe sowie die soziale Herkunft des Schülers und das Geschlecht.


Auch aus anderen Gründen sind Aussagewert und Vergleichbarkeit von Schulnoten sehr begrenzt. Da Noten in einer Klasse stets im Verhältnis zu den übrigen Schülern vergeben werden, hat beispielsweise die Note 2,0 in Klassen mit guten Schülerinnen und Schülern eine andere Bedeutung als in Klassen mit mittelmäßigen und schlechten Schülern.


Weiterhin ist die Aussagekraft einer Schulnote insofern eingeschränkt, als es sich bei Noten um Durchschnittswerte handelt. Es wird die Gesamtleistung eines Schülers bewertet, die sich aus unterschiedlichen Einzelleistungen zusammensetzt.


Im Fach Deutsch kann die Gesamtleistung zum Beispiel aus dem besonderen Talent eines Schülers bestehen, sich eloquent und treffend auszudrücken, kombiniert mit einer Lese- und Rechtschreibschwäche. In der gemittelten Einzelnote kommt das spezifische Fähigkeitsprofil des Schülers in keiner Weise zum Ausdruck.


Einen eher schwachen Zusammenhang zwischen Schulnoten und kognitiven Fähigkeiten bestätigen auch internationale Vergleichstests wie PISA.



Können Noten zum Lernen motivieren?


Schüler feiert einen Triumph


Nele McElvany, Direktorin am Institut für Schulentwicklung an der TU Dortmund, hält eine Motivationsfunktion von Schulnoten grundsätzlich für möglich: "Gute Noten können ein Anreiz sein, wenn ein Schüler oder eine Schülerin eine bestimmte Note erreichen will", so Nele McElvany. Ob allerdings schlechte Noten leistungsschwache Schüler zu engagierterem Lernen ermuntern, ist wissenschaftlich nicht bewiesen.



Welche Bewertungsalternativen gibt es?


Bewertungsalternativen werden von reformpädagogischen Schulen wie den Waldorfschulen seit Generationen praktiziert. Dazu zählen Dialogformen wie Eltern-Schüler-Lehrergespräche, die beinhalten, dass Schüler ihre Leistungen selbst einschätzen und sich eigene, individuelle Lernziele setzen.


Eine andere Möglichkeit sind Zeugnistexte mit einer differenzierten Beurteilung von Leistungs- und Talentprofilen. Auch Rasterzeugnisse, die für jedes Fach unterschiedliche Lern- und Fähigkeitskompetenzen bewerten, dokumentieren das Leistungsniveau der Kinder aussagekräftiger als Einzelnoten.


Wegweiser Waldorfschule


Der Nachteil gängiger Bewertungsalternativen ist der höhere zeitliche und pädagogische Aufwand im Vergleich zur Vergabe von klassischen Schulnoten. Und schlussendlich können auch Kinder reformpädagogischer Bildungswege der Benotung nicht auf Dauer aus dem Wege gehen.


Spätestens wenn es auf die ersten Schulabschlussmöglichkeiten zugeht, werden die Schülerinnen und Schüler auch in reformpädagogischen Schulen mittels klassischer Noten bewertet.



Warum es weiterhin Schulnoten geben wird


Auch wenn Schulnoten viele unterschiedliche Informationen in einer Ziffer zusammenfassen und insofern nicht transparent sind, enthalten sie eine Aussage über die jeweilige Leistungstendenz eine Schülers, – wenn auch subjektiv gefärbt. Damit ist sowohl auf Seiten der Lehrer als auch auf Seiten der Schülerinnen und Schüler eine klare Orientierung und Vergleichbarkeit gegeben.


Differenziertere Bewertungsmodelle reformpädagogischer Schulen sind nicht für alle Kinder geeignet. Es gibt durchaus Schüler, die in klassischen Schulen mit strikten Regeln und Noten besser aufgehoben sind.


In Grundschulen, in denen Schüler erst ab der dritten oder vierten Klasse benotet werden, können die Kinder behutsam auf die Benotung vorbereitet werden, zum Beispiel durch Bewertungs- und Belohnungsstempel. Die Stempel sollten stets konstruktiv im Sinne einer Belohnung und Ermunterung eingesetzt werden.



Ausblick


Kompetitive Lern- und Bewertungsmodelle haben ihren Ursprung in den gesellschaftlichen Verhältnissen. Dass in vielen Schulen zunehmend kooperative Lernformen Einzug erhalten und auch immer mehr Regelschulen auf eine Notenvergabe in den ersten beiden Grundschulklassen verzichten, ist zu begrüßen.


Zu wünschen wäre allerdings, dass diese pädagogische Tendenz stärker in unser sozioökonomisches System hineinwirkt, damit das kooperative und wertschätzende Miteinander ein kompetitives Gegeneinander ersetzen und zur neuen Normalität werden kann.



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Erscheinungsdatum: 05. Februar 2023

Autor: Csaba Németh

Bildnachweis: Adobe Stockfotos

Quellen: Quarks   und   Deutsches Schulportal der Robert Bosch Stiftung   und   P.M. Magazin